Das Wanderprojekt „Hermann seine Höhen“ beginnt im Zug, der uns trotz Deutscher Bahn ohne Verspätung nach Bielefeld bringt.
Wir sind wieder die zwei lustigen Drei aus der Milchhofsiedlung. Also Sascha (mein Bruder) und Christian (mein Nachbar). Beide sind ausgezeichnete Wandergefährten für mich. Immerhin haben sie mich schon auf dem Moselsteig an der Mosel und auf dem West Highland Way in Schottland ertragen. Weitere Detailinfos zu den Gefährten kann man den entsprechenden Reiseberichten in diesem Blog entnehmen.
Der offizielle Startpunkt des Hermannwegs ist das Ratsgymnasium. Vom Bahnhof müssen wir jetzt also irgendwie dahin. Während Sascha und Christian die Karte im Wanderführer studieren, frage ich einfach mal vorbeikommende Menschen. Zugegebener Weise brauche ich drei Anläufe bis ich jemand gefunden habe, der sich in Bielefeld auskennt. Trotzdem bringt meine Methode den entscheidenen Hinweis und wir machen uns auf den Weg.
Wie schon befürchtet hat der „Hermann-Höhenweg“ seinen Namen aus einem bestimmten Grund. Es geht nämlich jetzt erst mal rauf. Immerhin werden wir, oben angekommen, mit einem coolen Blick über Bielefeld belohnt.
So startet die Tour. Ich freue mich, wieder mit den Jungs unterwegs zu sein. Das ist cool. Andere bezeichnen dieses Gefühl scheinbar als „Berglust.“
Die Lust wird dann erstmal ein bisschen getrübt. Und zwar durch nicht unerheblichen Regen. Also erstmal Regenjacke an und Regenschutz für den Rucksack aktiviert.
Und dann passiert das, was nicht hätte passieren dürfen. Sascha wird verletzt. Und Christian ist Schuld. Und Alex. Und ich. Eigentlich nur ich, wenn man ehrlich ist. Aber der Reihe nach. Wir wandern im Regen so dahin. Unsere Smart Watches tracken den Weg (wie immer). Ich wandere mit Stöcken. Mit den kaum benutzten Stöcken von Alex. Die Schutz-Gummi Nüppels, welche die Metallspitzen der Stöcker zeitweise (insbesondere auf Asphalt) verdecken, habe ich zu dem Zeitpunkt entfernt, da wir auf Waldboden laufen. Dann fordert Christian uns zum Uhrenvergleich in Bezug auf die bisher gelaufene Strecke auf. Um meiner Uhr den Stand der zurück gelegten Kilometer entnehmen zu können, drehe ich meinen Arm. Der Arm hält aber den Wanderstock. Durch die Drehung meines Arms hebt sich mein Wanderstock und streift mit der ungeschützten Metallspitze die Wade von Sascha. Die dadurch verursachte Wunde blutet.
Das ist echt blöd gelaufen. Wenn ich meine Wanderstöcke gefunden hätte, hätte ich nicht die neuen und somit mit scharfer Spitze versehenen Wanderstöcke von Alex in der Hand gehabt. Wenn Christian dann nicht nach dem Tracking gefragt hätte. Ok. Und wenn ich aufgepasst hätte. Das hätte definitiv verhindert werden können! Der Rettungshubschrauber, der kurz danach über uns fliegt, ist Gott sei Dank nicht nötig.
Nach einer trotzdem wirklich schönen Wanderung erblicken wir von einer Anhöhe „Oerlinghausen“, unser heutiges Etappenziel.
Am Ende werden es 18 Kilometer. Dankbar und ein bisschen kaputt sitzen wir jetzt bei einem Spanier. Christian bestellt einen „Rioja“. Der sicherlich nicht spanische Kellner tut sich mit der Aussprache schwer. Christian ist sehr sprachbegabt und hat auch diesbezüglich einen hilfreichen Rat: „Wenn man wissen will, wie man ein spanisches „j“ aussprechen will, imitieren Sie eine Espresso Maschine.“
Nach einem guten Frühstück in einer tollen Pension (Pension Gerber) machen wir uns wieder auf den Weg. Dieser ist gut mit einem „H“ markiert.
„H“ steht für Hermann‘s Höhen. Also eigentlich. Wie der heutige Bericht zeigen wird steht „H“ auch für viele andere Dinge.
„H“ steht auch für Horrorfilm. Zumindest zu Beginn der heutigen Etappe schafft der tief hängende Nebel eine Atmosphäre, die jedem Horrorfilm gut stehen würde.
„H“ steht scheinbar auch für Holzweg. Obwohl Christian -unserer nie offiziell gewählter aber von jedem absolut akzeptierter- Wanderführer mehrfach betont, dass wir auf dem richtigen Weg sind, gibt es Schilder die Platz für Zweifel lassen.
„H“ steht auch für „Hömma, wie fährst Du denn Auto?“ Die Diskussion über die richtige Verhaltensweise beim Wechsel der Autobahn in Allgemeinen und beim Wechsel von der A40 auf die A59 im Speziellen trübt zumindest kurzfristig die gute Stimmung.
„H“ steht auch für Harmonie, die schnell wieder hergestellt ist beim nächsten Thema. Zum Leidwesen von Sascha geht es um Fußball.
„H“ steht auch für Heureka, als wir nach 18 Kilometern am Hermannsdenkmal ankommen. Meine Füße haben gute Argumente hier und jetzt einfach aufzuhören. Mit Wandern, mit Gehen und mit Stehen.
„H“ könnte somit auch für „Hol mir ein Taxi!“ stehen. Und der Gedanke ist durchaus reizvoll. Mein Füße sind dafür. Ich kann sie aber überzeugen zumindest die längere Pause, die wir in der am Denkmal ansässigen Gastronomie verbringen, abzuwarten.
„H“ steht heute aber für „Hach wäre das schön, wenn ich die Etappe zu Ende laufen würde.“ Genau dafür entscheide ich mich. Für weiterlaufen. Einfach weiterlaufen. Einfach wird es aber tatsächlich nicht. Die von uns bisher hochgelobte Wegbeschilderung lässt uns auf den letzten Kilometern im Stich.
„H“ steht deshalb jetzt für „Herrgott nochmal, wo geht es hier lang.“ Irgend so ein einheimischer Spaßvogel hat die Schilder verdreht. Ich und insbesondere meine Füße können nicht lachen!
„H“ steht dann nach 27,3 Kilometern für „Halleluja, als wir endlich in der heutigen Unterkunft ankommen. Das ist die mit Abstand längste Strecke, die ich je am Stück gewandert bin. Meine Füße kündigen zwar an, dass Sie kurzfristig der Gewerkschaft beitreten werden – ich aber bin glücklich. Auch wirklich kaputt – aber glücklich.
„H“ steht damit trotzdem für „Hola die Waldfee, ist das weit.“ Ich bin auch der Meinung, dass 20 Kilometer am Tag eine gute Höchstgrenze sind. Meine Füße stimmen zu.
Ich erwache durch ein Klopfen an der Tür meines Einzelzimmers. Zu meiner Überraschung tritt ein Mann mit Anzug und Koffer ein. Er stellt sich als Anwalt meiner Füße vor. Im Nachgang zu gestern sei er beauftragt die Verhandlungen im Namen seiner Mandanten zu führen. Folgender Dialog entsteht:
Anwalt: „Ich bin hier um über die völlig inakzeptable Überbelastung meiner Mandanten am gestrigen Tage zu sprechen.“
Ich: „Häh?“
Anwalt: „Eine derartige Belastung von 27,3 Kilometer bei zusätzlicher Belastung durch den Rucksack verstößt gegen das zumutbare Maß, was man von meinen Mandanten erwarten darf.
Ich: „Dabei ist mein Rucksack mit 7,8 Kilo der leichteste von uns dreien.“
Anwalt: „Aber dafür sind Sie auch mit Abstand der Schwerste der Teilnehmergruppe. Sie hätten ja zur Entlastung meiner Mandanten mal abnehmen können.
Ich: „Aber ich war vorher trainieren um die Belastung langsam zu steigern…“
Anwalt: „Ich muss Sie darüber informieren, dass auch Ihre Lunge überlegt als Nebenkläger Teil der Leidensgemeinschaft zu werden. Ihr geht es insbesondere um die Definition der zulässigen Höhenmeter.
Ich: „Dann fragen wir doch mal die Endorphine, die gestern bei der Ankunft ausgeschüttet wurden.
Endorphine: „Das war echt cool.“
Ich: „Oder wir fragen den Magen, wie er die kleinen Hermann-Schnäpse, die Christian als Motivation besorgt hatte, fand?
Magen: Lecker!
Anwalt: „Ich informiere Sie hiermit, dass wir unter diesen Bedingungen, das Thema „Blasen“ nicht mehr gänzlich ausschließen!
Dann wache ich tatsächlich auf und mache mich bereit für die heutige Tour.
Das Highlight der gesamten Tour erreichen wir bereits nach 1,5 Kilometern. Echt krass! Und hoch. Und breit. Und steinig. Und krass! Es geht um die Extersteine.
„Neben Esoterikern trifft man dort auf (selbsternannte) Hexen, Druiden, keltische und germanische Glaubensgemeinschaften, die gemeinsam feiern ….“ (Quelle: www.teutoburgerwald.de)
Wir haben allerdings nur Holländer angetroffen. Ob darunter Hexen oder Druiden waren, bleibt ungeklärt.
Holländer haben wir schon wirklich viele getroffen. Christian hat diesbezüglich, die Theorie, dass die offiziell angegebene Einwohnerzahl nur die Holländer umfasst, die tatsächlich gerade in Holland vor Ort sind, und die weiteren Millionen, die gerade in Deutschland sind, nicht mitgezählt werden. Scheint mir plausibel, bei den vielen gelben Nummernschildern, die uns begegnen.
Die heutige Etappe ist mit 14,6 Kilometern zwar deutlich kürzer als gestern dafür aber auch in Bezug auf die Wegebeschaffenheit deutlich anspruchsvoller.
Landschaftlich lohnt sich die Etappe aber definitiv.
Und obwohl meine Füße auch heute ganz ordentlich spürbar sind, ist die Sache mit den Blasen zumindest bis jetzt nicht eingetreten. Ich hoffe ich komme ohne eine einstweilige Verfügung durch die morgige letzte Etappe😜
Gestern sind wir mit dem Taxi nach Horn-Bad Meinberg gefahren. Warum? Weil es zum einen in Leopoldstal (wo unsere Unterkunft liegt) nichts zu essen gibt und zum anderen weil ich keine Lust hatte noch weiter zu gehen. Nachdem wir bei San Remo gut gegessen (O-Ton von Sascha: „Die Beste Pizza, die ich seit langem gegessen habe.“) haben, laufen wir noch zur Tankstelle um uns mit Getränken für den Abend -die es in Leopoldstal auch nicht gibt- einzudecken. Als wir dann den Tankstellentyp bitten uns ein Taxi zu rufen, schaut uns dieser verständnislos an. „Männer, dass sind 3 Kilometer. Das könnt Ihr doch laufen.“ Sascha und Christian schauen mich an. Ich antworte bevor sie etwas sagen können:„Nein, können wir nicht!“ Manchmal muss man einfach Verantwortung übernehmen.
Die heutige Tour beginnt mit einem ordentlichen Aufstieg. Oben angekommen werden wir mit einer tollen Weitsicht vom Eggeturm belohnt.
Genau diesen Eggeturm hatte uns gestern eine Frau im Café im Grünen (betrieben vom Naturfreundehaus) ungefragt empfohlen. Gestern war ich schwer dagegen einen nicht unerheblichen Umweg für den Turm zu akzeptieren. Heute, wo der Turm, auf unserem Weg liegt, nehme ich die Aussicht gerne mit.
Die letzte Etappe verläuft hauptsächlich durch Wald, oder durch Bereiche die mal Wald waren. Das es dem Wald echt nicht so gut geht, konnten wir auf der kompletten Tour leider öfter beobachten.
Trotzdem haben wir bisher deutlich mehr Tuchfühlung zu Flora gehabt. Die Fauna zeigt sich heute in Form eines kleinen Feuersalamanders.
Bisher haben wir uns oft unterhalten beim wandern. Heute ist das anders. Die meiste Zeit laufen wir schweigend nebeneinander oder hintereinander. Jeder scheint mit seinen Gedanken bei sich zu sein.
Sascha arbeitet gedanklich vermutlich an dem Aufsatz zum Zusammenhang von körperlicher Anstrengung und seinem Wohlbefinden, welches er hier beim wandern empfindet. Ob seine Theorie des psychosomatischen Schmerz durchbrechenden „Einfach weiterwandern“ auch Teil davon sein wird, ist unklar.
Was Christian genau beschäftigt, bleibt mir verborgen. Vermutlich der Weg und ob der Wanderführer (dessen Herr er ist) eben diesen Weg korrekt beschreibt. Mindestens in Bezug auf den letzten Anstieg gibt es meiner Ansicht nach Luft nach oben. Der letzte Anstieg wird von Christian nämlich mehrfach angekündigt. Beim letzten Mal stimmt die Vorhersage.😜
Insgesamt haben wir schon unterschiedliche Bedürfnisse. Während ich (auch wegen meiner Füße) ein vehementer Verfechter von Pausen im sitzen bin, sind Christian und Sascha eher in der Fraktion „Bänke sind überbewertet.“
Bänke sind uns damit unterschiedlich wichtig. Wenn man die gesamte Tour betrachtet gibt es rein in Bezug auf die Anzahl genug Bänke.
Die Herausforderung ist eher deren Verteilung. Es gibt Streckenabschnitte, wo Kilometer lang keine Bank oder irgendwas das man mit viel Phantasie als eine zweckentfremden könnte, zu erblicken ist. Das ist immer dann der Fall, wenn ich dringend eine Pause (im Sitzen) gebrauchen könnte. Mir erscheint dieser „Murphy“ war bei der Verteilung der Bänke beteiligt.
Damit endet eine wirklich schöne Tour. Danke an meine Gefährten Christian und Sascha.