Manche Sachen brauchen Zeit. Das Projekt „Wandern auf dem West Highland Way“ haben wir vor 3 Jahren zum ersten Mal geplant. Dann kam Corona und wir haben das Projekt mehrfach verschoben. Wir sind wieder die zwei lustigen Drei vom Milchhof. Also Christian, Sascha und ich.
Eine genauere Vorstellung kann man dem Reisebericht zur Wanderung auf dem Moselsteig entnehmen. Die Wanderung dort war auch schon ein Ersatz für das Schottland-Projekt, weil eine Reise nach Schottland damals undenkbar war.
Jetzt ist Reisen möglich. Wir starten also heute mit dem Hinflug nach Edinburgh und nutzen den Abend um uns die wirkliche hübsche Altstadt anzuschauen.
Wieder im Hotel angekommen, sichte ich mein Gepäck und muss feststellen, dass meine Sonnenbrille den Flug (eingequetscht in meinen Rucksack) leider nicht überlebt hat. Das ist grob geschätzt Sonnenbrille Nummer 2064, die ich kaputt bekomme. Ich bin so dankbar, dass ich kein dauerhafter Brillenträger bin.
Morgen geht es dann erst mit dem Zug nach Milngavie, dem Startpunkt der Wanderung.
Bevor wir mit der Wanderung starten, fahren wir mit dem Zug von Edinburgh über Glasgow (wo wir umsteigen) nach Milngavie, dem offiziellen Startpunkt des West Highland Way.
Christian ist der Reiseleiter. Das steht außer Frage. Er ist mit großem Abstand am Besten von uns vorbereitet. Er hat gefühlt alle verfügbaren Wanderführer auswendig gelernt, hat sich verschiedene Videos zu dem Thema angeschaut, usw. Er weiß wirklich alles, was man nur wissen kann. Trotzdem bin ich überrascht als er uns während der Zugfahrt versucht geschichtliche Hintergründe (über William Wallace) näher zu bringen. Sascha und ich können gedanklich nicht so schnell folgen. Der Reiseleiter ist unzufrieden mit uns. O-Ton: „Na ja, man kann sich sein Publikum nicht aussuchen.“
Nachdem der Erwartungshorizont für geschichtliche Hintergründe an das niedrige Niveau der Teilnehmergruppe angepasst und ich mir dann im Spar-Markt in Milngavie eine neue Sonnenbrille gekauft habe, geht es los. Wir gehen den West Highland Way. 154 km in 7 Etappen. So ist der Plan.
Ein zumindest für mich wirklich großes Projekt. Ein auch zumindest für mich Angst auslösendes Projekt. Die Etappen sind deutlich länger als bei der Moseltour, wo ich auch nur auf der letzten Rille angekommen bin. (Siehe gesonderter Reisebericht). Desto näher die Tour kommt, desto mehr Zweifel tauchen in meinem Kopf auf. Schaffe ich das überhaupt? Versaue ich den anderen (insbesondere Christian, dessen großer Wunsch das hier ist) die Tour, wenn ich immer die Bremse bin? Ich habe lange mit mir gerungen und mehrfach war ich kurz davor abzusagen.
Trotzdem stehe ich jetzt hier am wenig beeindruckenden Obelisken in Milngavie, dem offiziellen Startpunkt des Weges. Immer noch mit großen Zweifeln. Aber auch mit Plan B. Dazu später mehr.
Die erste Etappe belohnt uns aber direkt von Beginn an mit tollen Wegen durch Wald- und Wiesenlandschaften, die mich an das Auenland (vergleiche Herr der Ringe-Die Gefährten) erinnern. Ein Hinweisschild auf „langsame Hobbits“ zeigt, dass ich scheinbar nicht der Einzige bin, der diesen Bezug hergestellt hat.
Der Weg und die Landschaft ist wirklich beeindruckend.
Die beginnenden schmerzenden Füße näheren trotzdem wieder meine Zweifel. Meine kläglichen Trainingsversuche im Vorfeld (einmal 11 km mit Christian und einmal 15 km allein) sind, wie zu erwarten war, nicht ausreichend. Die längste Einzeletappe hier wird 30 km am Tag betragen. Heute werden es laut Plan immerhin 19 km. Die Pause bei Kilometer 10 kommt für mich wie gerufen. Und ein bisschen bekomme ich meine Füße resetet. Dennoch ist es einfach lang. Am Ende werden es 22,78 km sein. Ein neuer „Jens-Rekord“. So lange bin ich noch nie am Stück gegangen. Und mein „Kadaver“ gibt mir in Form von Schmerzen Feedback.
Was das für morgen bedeutet, habe ich noch nicht entschieden. Vielleicht braucht es Plan B…
Gruppendynamisch ist unsere Reise heute in eine neue Phase eingetreten. Wandern ohne zu laufen und Ähnliches zeichnen sich ab. Um der besonderen Situation gerecht zu werden, kommen heute alle zu Wort:
Christian schreibt:
Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind . Oder alle Wege führen nach Rom, äh Rowardennan. Aber der Reihe nach…
Vor drei Jahren begann die Planung für unsere Tour auf dem WHW. Im dritten Anlauf hat es jetzt endlich geklappt und wir drei sind heute den dritten Tag in Schottland. Heute Morgen haben wir die Tour von Drymen nach Rowardennan dann mit wieviel Leuten gestartet? Der geneigte Leser vermutet wahrscheinlich drei, was naheliegend wäre. Aber heute morgen griff der bereits von Jens angekündigte Plan B.
Ich schreibe:
Heute stehen laut Plan 25 km an. Tatsächlich also vermutlich eher 27. Kann man machen. Die Frage ist nicht ob das geht. Die Frage ist, ob man das will. Und ich will nicht. Zumindest nicht die komplette Strecke. Es kommt also heute zum ersten Mal zu Plan B.
Plan B bedeutet: Ich wandere zumindest Teilstücke einfach nicht mit und nutze andere Beförderungsmöglichkeiten. Heute gibt es praktischerweise einen Bus, der von Drymen nach Balmaha fährt. Also relativ genau bis zur Hälfte der heutigen Tour.
Plan B können nicht alle verstehen. Meine Gefährten nicht. Ist doch eine Wandertour. Da fährt man doch nicht eine halbe Etappe Bus. Mein Freund und Arbeitskollege Mirco nicht. Als Beleg hier ein Auszug aus dem WhattsApp Chat.
Und auch viele andere werden jetzt denken: Weichei! In Tirol hat man wie ich von Stefan (dem Vermieter unserer tollen Ferienwohnung in Österreich/vergleiche Wandern im Stubaital) gelernt habe sogar einen eigenen Begriff dafür: „Sumsen“. Also rumjammern. Und das stimmt ja auch. Ich habe keine Lust auf Schmerzen. Klar kann man das aushalten. Ich will aber nicht. Ich halte es da eher mit Harpe Kerkling (vergleiche „Ich bin dann mal weg“). Den Ehrgeiz oder Anspruch den ganzen Weg wirklich selber gelaufen zu sein, habe ich nicht.
Deshalb sitze ich jetzt -während ich das hier schreibe- in einer Eisdiele in Balmaha und warte auf die Gefährten.
Zurück zu Christian:
Somit sind Sascha und ich dann also zu zweit gestartet. Von Drymen aus ging es zunächst durch Weiden und Wälder zum Conic Hill. Die Landschaft gab schon einen ersten Vorgeschmack auf das, was uns in den Highlands erwarten wird.
Der Aufstieg hatte es schon in sich, wurde dann aber mit einem atemberaubenden Blick auf den Loch Lomond, den größten See Schottlands belohnt.
Nach einem kurzen aber sehr steilen Abstieg nach Balmaha trafen wir dann auf Jens und so waren wir dann doch wieder zu dritt. So machten sich die zwei lustigen drei vom Milchhof dann entlang des Seeufers zu Fuß auf den Weg von Balmaha nach Rowardennan.
Nach einiger Zeit am See entlang entfernte sich der Weg dann von diesem und es ging bergauf und bergab durch Wälder und an einigen Campingplätzen vorbei. Dabei ging Jens gut erholt voran und gab das Tempo vor.
Jetzt sitzen wir drei in einem zur Jugendherberge umfunktionierten Jagdschloss mit Blick auf den Loch Lomond, genießen das eine oder andere Kaltgetränk.
Sascha schreibt:
So weit Christian und Jens. Es wird sich zeigen, wie sich die Sache weiterentwickelt. Möglicherweise kommt zu den zweieinhalb Highländern noch eine halbe Highländerin hinzu. Aber dazu morgen mehr, wenn ich dran bin Geheimnisse zu verraten…
Gestern bin ich aufgrund der teilweisen Nutzung von „Plan B“ 13,6 km gewandert. Fühlte sich nicht wie eine halbe Etappe an. Fühlte sich gut an. Füße ok. Jens ok.
Rückblick: Auf der ersten Etappe überholen uns zwei französische Frauen. Wir unterhalten uns kurz über die Stichwahl in Frankreich und das wir gemeinsam hoffen, dass es nicht Le Pen wird. Wünschen uns dann eine gute Tour. Auch auf der weiteren Tour treffen wir uns immer mal wieder.
Nach den 13,6 km kommen wir in der Jugendherberge an. Da mir die Form „Wander die Hälfte“ gut gefallen hat, versuche ich an der Rezeption heraus zu finden, welche diesbezügliche Möglichkeiten es für die nächste Etappe gibt.
In diesem Moment treffe ich Amelie (eine der beiden französischen Frauen) wieder. Sie ist sehr interessiert an „Plan B“ und fragt, ob Sie sich nicht anschließen kann. Da spricht natürlich nichts dagegen. Wir vereinbaren also uns ein Taxi zu teilen um damit nach Inversnaid (in etwa wieder auf der Hälfte gelegen) zu fahren. So war zumindest der Plan gestern Abend.
Nachdem Sascha und Christian gestartet sind, eröffnet Amelie mir allerdings, dass sie noch lieber die ganze Tour mit dem Taxi fahren würde und lächelt mich dabei an. Da der Weg nach Inverarnan mit dem Taxi ein komplett anderer als nach Inversnaid ist, muss man sich für eins entscheiden.
Wer diesen Blog schon länger verfolgt, ahnt wozu ich mich entschieden habe. In Situationen, in denen mich hübsche Frauen anlächeln, habe ich schon verschiedene Kleidungsstücke gekauft, die ich eigentlich nicht brauchte, oder habe -wie zuletzt- „Touri-Scheiß“-Ausflüge gebucht, die ich eigentlich nicht leiden kann.
Big John fährt uns somit direkt nach Inverarnan. BigJohn ist unser Taxifahrer. Sehr nett, auch wenn ich lange nicht alles verstehe, was er uns versucht zu erklären.
Jetzt ist es allerdings Zeit die Gefährten zu informieren, dass wir uns erst heute Abend wieder treffen und nicht wie geplant auf der Hälfte der Strecke. Ich habe tatsächlich ein schlechtes Gewissen. Amelie geht es mit Ihrer Freundin ähnlich.
Was denken die jetzt bloß?
BigJohn informiert uns, dass er öfter „Wanderer“ fährt, die einzelne Etappen auslassen. Entweder weil sie es von Anfang an so geplant haben um Zeit zu sparen, oder weil sie eine nicht geplante Pause brauchen. Wir gehören also definitiv in Kategorie zwei. Trotzdem beruhigend, dass wir nicht allein sind.
Die Sache mit dem schlechten Gewissen beschäftigt mich trotzdem weiter. Ich höre gerade ein Hörbuch von Kurt Krömer („Du darfst nicht alles glauben, was Du denkst“), indem er sehr offen über seine Depression spricht. Mit meiner Situation natürlich überhaupt nicht zu vergleichen. Trotzdem höre ich Kurt Krömer zu mir sagen: „Bist Du eigentlich bescheuert, dass Du ein schlechtes Gewissen hast, weil Du eine Etappe nicht gewandert bist und dafür einen wirklichen netten Tag verbracht hast?“ Ich finde Kurt hat Recht. Ist doch egal, was die anderen denken!
Hier noch die Eindrücke unserer kleinen Erkundungstour rund um unsere heutige Herberge.
Wen interessiert wie es Sascha und Christian heute ergangen ist, findet den heutigen Bericht hier.
Wer auf einer Wandertour mit dem Taxi fährt, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Ich habe vermutlich jetzt alle Taxi-Witze gehört, die es gibt. Manche sind zugegebener Weise ganz gut. Ansonsten ist über gestern bereits alles gesagt.
Jetzt zu heute: Ja, ich wandere mit. Ja, die komplette Etappe.
Beim Joggen (Ja, ich gehe ab und zu joggen!) hilft es mir wenn ich in einen Lauf Rhythmus komme. Dabei spielt die Geschwindigkeit (natürlich innerhalb meiner begrenzten körperlichen Grenzen) eher eine untergeordnete Rolle. Wenn ich den Rhythmus gefunden haben, läuft es fast von allein. Wenn ich allerdings keinen Rhythmus finde, ist es super anstrengend und von Anfang an ein Kampf.
Mit diesen Wissen versuche ich bei der heutigen Etappe in einen Wander Rhythmus zu kommen. Ich nehme mir ein Tempo vor und versuche dieses konstant zu halten.
Die Landschaft zu Beginn der Etappe besticht insbesondere durch kleine Bäche, dazugehörige Wasserfälle und Felsblöcke, die immer mal einfach rumliegen. Dazu muss man immer mal über eine Brücke. Die Aussicht wiederholt sich fortlaufend
.
Ich versuche die Landschaft mit meinem Rhythmus in Einklang zu bringen. Also in etwa so:
Bach, Felsen, Brücke
Bach, Felsen, Brücke
Bach, Felsen, Brücke
Ab einem gewissen Punkt hat sich der Architekt des West Highland Way allerdings nicht mehr an die Reihenfolge gehalten, was schlecht für meinen Rhythmus ist.
Auch die Umstellung auf Schafe scheitert. Es gibt zwar sehr viele um uns herum, da sie aber ständig Ihre Position verändern, taugen sie als Rhythmus Geber eher nicht.
Trotzdem komme ich heute ganz gut durch. Sascha und Christian ziehen natürlich mit. Sie haben meinen Respekt (alle Etappen gelaufen zu sein) und Ihnen gilt mein großer Dank. Sie nehmen Rücksicht auf mich, wenn ich nicht mehr schnell kann (meistens ab 15 Km) und sie lassen mich davor das Tempo machen und ziehen mit. Man kann sich keine besseren Gefährten für so eine Tour wünschen.
Kurz vor Ende der heutigen Etappe machen sich dann allerdings auch bei meinen Hardcore-Wander Gefährten erste Blessuren bemerkbar. Sascha hat bergab Probleme mit dem linken Knie und Christian hat einen schmerzenden großen Zeh. Beides übrigens ohne Fremdeinwirkung.
In unserer -an eine Kaserne erinnernde- Lodge angekommen, machen wir jetzt Pläne für’s Abendessen. Ich bin überraschender Weise für Pizza. Ob es die hier im Nichts allerdings gibt, bleibt abzuwarten.
Frei nach Peter Maffay: Über viele Brücken musst du gehen…
Heute war also der große Tag. Die Königsetappe unserer Reise auf dem West Highland Way. Über 30 km von Tyndrum nach Kingshouse entlang des Rannoch Moor. Eine Entfernung die noch keiner von uns bisher gewandert ist.
Heute morgen sind Sascha und ich dann in Anbetracht der Streckenlänge schon um 08:00 Uhr gestartet. Jens ist, wie schon von Anfang an geplant um 10:30 mit dem Zug nach Bridge of Orchy gefahren. So konnte er 12 km sparen.
Bridge of Orchy
Pünktlich zu seiner Ankunft erreichten Sascha und ich den Bahnhof, so dass wir den Hauptteil der Etappe dann zu dritt bestreiten konnten.
Ab hier hatten wir den ersten wirklichen Anstieg zu bewältigen. Auf dem Gipfel angekommen unterhielten wir uns dann mit zwei Wanderinnen, wie mittlerweile gewohnt natürlich in englisch. Um dann nach ein Paar Minuten festzustellen, dass die Beiden aus München kommen. Der Weg entlang des Rannoch Moors bot atemberaubende Ausblicke auf eine unberührte Natur. Wie erwartet forderte die Streckenlänge ihren Tribut, so dass wir erschöpft in Kingshouse ankamen. Jetzt sitzen wir frisch geduscht und etwas erholt in der Hotelbar und genießen das Panorama und den ein ein oder anderen Whisky.